Schiffsverkehr, Logistik und die Genese europäischer Sammlungen im 16.-20. Jahrhundert
Vor der Erfindung von Eisenbahn und Flugzeug reisten die meisten Objekte, zumal wenn sie aus nicht-europäischen Ländern nach Europa kamen, auf Schiffen. Diese simple Tatsache mag einem zunächst banal erscheinen. Gerade ihre Banalität ist vermutlich der Grund dafür, dass sie bis jetzt in keiner großen Globalisierungs- oder Wissensgeschichte thematisiert wurde. So sind es vielfach Akteure oder Räume, die in Ansätzen zu einer Überwindung einer national oder rein europäisch fokussierten Transfer- und Verflechtungsgeschichte im Blick stehen, auch wenn erste Arbeiten sich auch auf Objekte und ihre Verbreitungswege konzentrieren. Auf den zweiten Blick aber ergeben sich aus der Tatsache, dass ein Hauptteil aller als wissensrelevant bekannten Objekte bis weit in das 19. und sogar 20. Jahrhundert per Schiff transportiert wurde, grundlegende Fragen zum Zusammenhang von Technologie, Raum, Akteur und Objekt. Diese geben Aufschlüsse über den Zusammenhang von Transfer, Materialität und Wissensbildung.
Der Transport beeinflusste die Objektauswahl von Sammlungen und deren späteren Wert
Der Transport zur See stellte materielle Rahmenbedingungen, die sich auf die Auswahl der zu transportierenden Objekte hinsichtlich ihrer Größe und Konservierbarkeit ergaben. Er strukturierte somit die Objektauswahl und damit auch die Verdinglichung von Wissensbeständen. Zudem trug die Dokumentation von Schiffsladung auch zwangsläufig zu einer Strukturierung von Wissensbeständen bei, eine Hypothese, die es in weiteren Forschungsarbeiten zu überprüfen gilt.
Die Gefahren, die der Schiffstransport mit sich brachte, werteten zudem die Objekte in einer bestimmten Weise auf, und dies jeweils in unterschiedlicher Weise vor und nach Reiseantritt: Vor der Reise musste in Betracht gezogen werden, ob man tatsächlich einzigartige Objekte dem Schiffstransport anvertraute oder doch nur Dinge, von denen es noch eine Doublette gab. Nach einer Reise trug der geglückte Transport zu einer semantischen Aufwertung des Objekts bei, da es trotz seiner Fragilität nicht einem Schiffsuntergang zum Opfer gefallen war. Im Gegensatz zu den Überlegungen, die vor Reisebeginn angestellt worden waren, war es nun eine Aura von Einzigartigkeit, die durch die geglückte Schiffspassage evoziert wurde und die sich in häufigen Fällen mit ihren „Entdeckern“ und Transporteuren verband, die sich durch sie einen Namen machen wollten, d. h. den jeweiligen Forschern, aber auch den Schiffseignern und ihren Familien.