60 Jahre Kogge-Fund: Ein Bagger gräbt Hanse-Geschichte frei

Die Bremer Kogge: Sensationsfund – Forschungsobjekt – Meilenstein der Schifffahrtsgeschichte. Ihr Fund jährt sich am 8. Oktober 2022 zum 60. Mal. Heute gefeiert, damals fast übersehen: Die Bergung des weltweit am besten erhaltenen Handelsschiffs des Mittelalters begann mit Ärger auf einer Baustelle. Das Kogge-Fund-Jubiläum feiert das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte mit der Eröffnung des interaktiven Werftmodells, das den Schiffbau 4.0 zeigt.

Holz, immer wieder hartes, schweres Holz verstopft den sogenannten Steinkasten des belgischen Saugbaggers „Arlesienne“, auf dem Albert Baumann in der Nacht vom 8. zum 9. Oktober 1962 Dienst hat. Die Deckmannschaft aus Belgien, Holland und Deutschland schwitzt, stöhnt, flucht, weil die Pumpe streikt. Baumann, 24 Jahre, aus Greetsiel, verdient sein Geld eigentlich in der Fischerei. In der Heimat fehlen jedoch die Aufträge. In Bremen brummt der Betrieb im Europahafen und ein neues Wendebecken wird schnell benötigt. Baumann heuert also als Decksmann auf dem Saugbagger an, schiebt Nachtschichten, um den Ausbau voranzutreiben. Da wo eigentlich Sand ausgeschachtet werden soll, fischt er nun stetig Holz aus den Tiefen der Weser. Die Holzstücke schleppt er in ein Ruderboot und wirft sie am Ufer auf einen Sportplatz. „Ich habe sofort gesehen, dass es Eichenholz war. Dass es sich jedoch um ein altes Schiff handelt, daran war nicht zu denken. Erkennen konnten wir das nachts nicht.“ Am nächsten Morgen hat der Platzwart vom Sportplatz die jahrhundertalten Spanten bereits entsorgt. Im Weserwasser zeichnet sich plötzlich die Kontur eines Schiffes ab, das auf die Seite gekippt ist. Trotz des hohen Zeitdrucks stellen die Decksmänner die Arbeit erstmal ein. Rätselnd betrachten sie das Holzgerippe, das sie zutage gefördert haben.

Sensationsfund – und weiterhin Forschungsprojekt

Was für eine Art Schiff es wohl ist? Baumann hat keine Ahnung, dass er und seine Kollegen auf einen kulturhistorischen Schatz gestoßen sind – die Bremer Kogge von 1380, das am besten erhaltene Handelsschiff des Mittelalters und heutige Leitexponat des DSM. Siegfried Fliedner, Leiter der Schifffahrtsabteilung am Bremer Focke-Museum eilt am Morgen zur Baustelle, untersucht das Wrack und bestimmt es als Kogge.

Nach der Bergung sind die Herausforderungen groß: Ein Puzzle von mehr als 2000 Teilen will zusammengesetzt werden. Das interdisziplinäre Wissenschaftsteam untersucht lange, wie die jahrhundertealte Holzkonstruktion dauerhaft ausgestellt werden kann. Weserschlick hat das Wrack bisher bestens konserviert. An der Luft droht das Holz sich zu verformen und zu zerbröseln. Holzchemiker finden eine Methode, die als Wegbereiter für die Konservierung weiterer Holzschiffe gilt, beispielsweise der schwedischen Vasa. Ein wichtiger Schritt für die Aushärtung des Holzes ist das fast 20-jährige Bad im Kunstwachs Polyethylenglykol (PEG). Erst im Jahr 2000, 38 Jahre nach dem Fund, sind Wiederaufbau und die hochkomplexe Konservierung abgeschlossen.

Noch 60 Jahre nach ihrem Fund bleibt die Kogge im Fokus der Wissenschaft: Mit modernen Methoden der präventiven Konservierung wie der Photogrammetrie wird regelmäßig ermittelt, ob das Holz weiterhin arbeitet.

Als Albert Baumann später vor der wieder aufgebauten Kogge im DSM steht, staunt er über das 20 Meter lange und acht Meter breite Wrack. Die unvollständige Seite bringt ihn ins Grübeln: „Das waren mit Sicherheit die Spanten, die wir damals versehentlich ausgebaggert haben“, erinnert sich der heute 84-Jährige Wahlbremer. „Wir hatten ja keine Ahnung, dass wir auf einen Sensationsfund gestoßen waren.“ Eine kleine Metallskulptur am Weserufer erinnert heute an den geschichtsträchtigen Fund in Bremen-Woltmershausen.
 
DSM feiert die Kogge – Schiffbau früher und heute

Zum 60. Jahrestag des Funds lädt das DSM zu einem spannenden Ausblick in den Schiffbau von heute ein. Direkt neben dem mittelalterlichen Handelsschiff bietet das interaktive Werftmodell Einblick in den Schiffbau von heute. Die Sonderausstellung „Steel and Bytes – Ein Schiff entsteht“ kann ab Samstag, 1. Oktober, 13 Uhr, besichtigt werden.

Ergebnisse der neuesten Forschungsprojekte rund um die Kogge sind bald in Ausstellungen zu sehen: „Immer weiter – die Hanse im Nordatlantik“ eröffnet im Frühjahr 2023. Die Schau zeigt, dass Bremer und Hamburger Kaufleute zu Zeiten der Hanse bereits Waren auf die nordschottischen Shetlands und Orkney brachten.
Für das Projekt „Digital Materialities. Virtual and Analogue Forms of Exhibition“ werden unter anderem Beifunde der Kogge mit modernster Scantechnik untersucht. Zu sehen sind die Objekte und Digitalisate ab Herbst 2023.

Kontakt

Thomas Joppig

0471 482 07 832

presse@dsm.museum

Fund der Bremer Kogge in der Weser bei Woltmershausen.

Foto: Focke-Museum. Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte

Download

Blick auf die Fundstelle in der Weser.
Credit: Focke-Museum. Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte

Download

Fundstelle in der Weser.

Credit: Focke-Museum. Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte

Download

Albert Baumann arbeitete als Deckmann an Bord des Saugbagger „Arlesienne“.

Credit: DSM / Annica Müllenberg

Download

Skulptur an der Fundstelle in Bremen-Woltmershausen.

Credit: DSM / Annica Müllenberg

Download

.svgNavPlus { fill: #002c50; } .svgFacebook { fill: #002c50; } .svgYoutube { fill: #002c50; } .svgInstagram { fill: #002c50; } .svgLeibnizLogo { fill: #002c50; } .svgWatch { fill: #002c50; } .svgPin { fill: #002c50; } .svgLetter { fill: #002c50; } Universität Bremen