Forschung am Deutschen Schifffahrtsmuseum. Seekarten an Bord und im Navigationsunterricht
Das Post-Doc-Projekt ‚Gebrauch von Karten auf See‘ verfolgt methodisch Ansätze der objektbasierten Wissens- und Sozialgeschichte. Ausgehend von der Materialität der Seekarten wird in mehreren Fallstudien nach den haptischen Spezifika des Kartenmaterials und nach seiner Benutzung an Bord zur Orientierung auf dem Meer gefragt. Wassertiefen, Strömungen, Seezeichen, Wracks und andere Informationen scheinen in Seekarten auf. Hier wird erforscht, wann, wie und in welchem Umfang bestimmte Informationstypen erstmals in Seekarten begegneten und welcher unmittelbare navigatorische Nutzen mit diesem Wissen verbunden war. Prägend ist dabei der Umstand, dass Seekartendaten extrem veränderlich waren und sind (z. B. Hafenansteuerungen in Tidengewässern). Das gedruckte Werk wurde mithin ständig überprüft und korrigiert, was begreiflicherweise auch und insbesondere Aufgabe der Kapitäne und Navigatoren war.
Seit den 1860er Jahren wurden die Datenerhebung für und die Produktion von Seekarten in den deutschen Staaten zunehmend behördlich zentralisiert, wobei die 1861 erfolgte Gründung des Hydrographischen Bureaus im preußischen Marineministerium hierzu gewissermaßen den Anstoß gab. Zugleich waren Kartenproduzenten weiterhin umfänglich auf das von Schiffskapitänen in der weltweiten Fahrt gesammelte aktuelle Datenmaterial angewiesen; auf Daten, die je nach Schiffstyp, Fahrtgebiet und individueller Einstellung der Schiffsführung ganz unterschiedliche Prioritäten setzen konnten. Für die Forschung entwickelt sich daraus die Frage, wie der Wissenstransfer von See nach dem Land geregelt war, wer also die Daten sammelte, strukturierte und schließlich zu Produktion und zum Druck in der Karte freigab. Schließlich eröffnen historische Seekarten auch die Chance, konkrete Veränderungen von Fahrwassern etwa der Elbe-, Weser- und Jademündung nachzuzeichnen und ihre Folgen für die Schifffahrt darzustellen.
Das Dissertationsprojekt am Deutschen Schifffahrtsmuseum und der Universität Bremen gilt dem kartengebundenen, navigatorischen Unterricht für zukünftige Schiffsoffiziere. Dabei rücken die Navigationsschulen in den Fokus, mit denen sich im 19. Jahrhundert in den deutschsprachigen Gebieten die zuvor noch stark praxisorientierte Schifffahrtsausbildung hin zu einer auch theoretischen Professionalisierung verschob.