Die RAU IX – ein Zeugnis früherer Walfangzeiten

Erkunden Sie die bewegte Geschichte der RAU IX. Gehen Sie an Bord, um sich eine Vorstellung von den Arbeitsbedingungen und technischen Entwicklungen zu machen, aber auch den Raubbau an den Meeressäugern zu verstehen.

Die 1939 gebaute Rau IX liegt in unserem Museumshafen als ein Zeugnis für Deutschlands Anstrengungen im industriellen Walfang. Sie war das neunte in einer Serie von Schiffen, die zwischen 1937 und 1939 für die Walter Rau Walfangflotte auf der Seebeck-Werft in Wesermünde (heute Bremerhaven) gebaut wurde. Walter Rau war ein Margarineproduzent mit guten Kontakten zur politische Elite im nationalsozialistischen Deutschland. Da er Walfett zur Herstellung seiner Margarine benötigte, ließ er eine eigene Walfangflotte bauen. Sie bestand ursprünglich aus acht Schiffen, RAU I bis RAU VIII, die den eigentlichen Walfang betrieben, sowie dem Fabrikschiff WALTER RAU, das die erlegten Wale entgegen nahm, schlachtete und direkt vor Ort verarbeitete.

Das Design der Rau IX war typisch für einen Walfänger der 1930er Jahre. Der Rumpf des Schiffes war nach der sogenannten Maierform mit vorstehendem Steven gebaut. Durch diese Form wurde das Wasser vom Schiff eher verdrängt als durchschnitten. Der Walfänger erhielt daher eine hohe Wendigkeit, die beim Manövrieren in den eiskalten Gewässern der Arktis und Antarktis von Vorteil war. Auf dem Schiff, das bei uns im Museumshafen liegt, können Sie noch weitere Merkmale des industriellen Walfangs sehen: eine Harpunenkanone, mit der auch größere und schwerere Wale geschossen werden konnten, sowie Winschen und ein System von Stahlseilen und doppelten Klüsen, mit denen die erlegten Wale an der Seite des Schiffes gesichert und zum Fabrikschiff WALTER RAU zur weiteren Verarbeitung gebracht werden konnten.

 

Walöl und Walprodukte

Walöl war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der Hauptbestandteile von Margarine. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde Walöl auch für die Herstellung von Seifen, Waschpulver und Maschinenöl verwendet. Viele solcher Produkte können Sie in unserer zukünftigen Ausstellung sehen. Walbarten wurden zu Korsettstangen, Knochenmehl zu Dünger verarbeitet. Und schließlich sollte Walfleisch als Nahrung für Menschen und Tiere den Mangel an heimischen Nahrungsmitteln nach dem Ersten Weltkrieg mildern, was allerdings in der Bevölkerung auf geringe Gegenliebe stieß. Vor den 1930er Jahren war Deutschland trotz eigener Forschung im Bereich der Walfangindustrie vom Import von Walprodukten abhängig – vor allem aus Norwegen und Großbritannien. Gemäß Hermann Görings Vierjahresplan sollte Deutschland ab 1936 ökonomisch und landwirtschaftlich von Importen unabhängig werden. Wale und andere marine Ressourcen spielten in diesem Plan eine entscheidende Rolle. Dafür allerdings kam die RAU IX zu spät – der Krieg hatte begonnen.

Hinweis

Dieses Schiff kann im Rahmen der Öffnungszeiten des Museumshafens besichtigt werden.

Video

RAU IX - Erforschung und Erhalt eines historischen Walfangschiffes

Die RAU IX suchte zunächst für Deutschland U-Boote und Minen, statt Wale zu jagen

Gleich nach dem Bau der RAU IX wurde das Schiff durch die deutsche Kriegsmarine beschlagnahmt, zurück in die Werft geschickt und umgebaut. Unter den Namen UJ-D und U-J 1212 diente es der Kriegsmarine von 1940 bis 1944 als U-Bootjäger. Ab 1944 schützte es deutsche Kriegsschiffe im Hafen von Hammerfest im besetzten Norwegen. Nach Ende des Krieges wurde die RAU IX kurzfristig auf Weisung der Alliierten zur Minensuche durch den Deutschen Minenräumdienst eingesetzt, bevor sie schließlich doch unter Britischer Flagge von 1948–1949 für die Falkland Shipowners Ltd. im Walfang eingesetzt. In den 1950er Jahren wurde die RAU IX in KRUTT umbenannt und ging für Norwegen auf Walfang. Nach 1955 wurde sie in HVALUR 5 erneut umbenannt, um zunächst unter isländischer Flagge und 1968 schließlich für die Färöer-Inseln Wale zu jagen.

 

Die RAU IX kehrt nach Bremerhaven zurück

1969 erwarb das Kuratorium des Alten Hafens die RAU IX, die bestmöglich in den Originalzustand rückgebaut wurde. Seit 1970 liegt das Schiff mit bewegter Geschichte im Alten Hafen von Bremerhaven und ist eine der Hauptattraktionen für Besucher unseres 1975 eröffneten Museums. 2005 wurde die RAU IX unter Denkmalschutz gestellt. Wenn Sie auf oder im Schiff sind und die Beschriftungen und Anzeigen in deutscher, norwegischer und isländischer Sprache lesen oder Maschinenteile und Aufbauten aus den späten 1930er bis 1960er Jahren sehen, können Sie selber die multi-nationale Geschichte des Schiffes erfahren.

 

Erkunden Sie mit der RAU IX die Beziehungen zwischen Schiffen und Umwelt

Als ein Aushängschild unseres Museums wird die RAU IX in unsere neue Ausstellung zum Thema „Schiffe, Ressourcen und die Umwelt unter Wasser“ integriert werden. Fotografien, Logbücher, Elfenbeinschnitzereien und andere Erinnerungsstücke werden die Geschichte der deutschen Walfang-Industrie von den 1890er bis 1950er Jahren für Sie lebendig werden lassen. In unserer neuen Ausstellung zeigen wir aber auch die Arbeit und das Leben von Fischern und Walfängern sowie die Auswirkungen der modernen Meeresnutzung auf die Biologie der Ozeane. Wir zeigen Ihnen die Wechselwirkungen von technischer Machbarkeit und Ressourcenverfügbarkeit sowie die substanziellen Veränderungen der Umwelt unter Wasser. Die Werftmodelle der RAU IX und des WALTER RAU Fabrikschiffes werden darüber hinaus zusammen mit vielen anderen Schiffsmodellen digitalisiert und über Smartphones, Tablets und PCs als 3D-Modelle abrufbar sein. So können Sie auch außerhalb unserer Räume einen Erkundungsgang in die Geschichte unternehmen.

 

Bibliographie

Lloyd Register 1949-50, Vol. 1 A-L, Nr. 15804. (Officielle Number 181923).

Lloyd Register Appendix 1949.

Lloyd Register 1955-56, Vol 1 Nr. 16704.

Lloyd Register 1956-57, Vol. 1 Nr. 64761.

Lloyd Register 1968-69, Vol. 1 Nr. 5157315, S. 1356


 

Weiterführende Literatur

Ian Hart: Whale Factory Ships and Modern Whaling, 1881-2016, London 2016

 

Christian Ostersehlte: Rau IX. Schwimmendes Highlight im Museumshafen des DSM, in: Heimat Nordseeküste, Bd. 60 (2008), S. 49–51

 

Ole Sparenberg: „Segen des Meeres“: Hochseefischerei und Walfang in Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik, Berlin 2012

 

Johan N. Tønnessen: The History of Modern Whaling, London 1982

 

Edmund Winterhoff: Walfangdampfer Rau IX(Bremerhaven: Kuratorium Deutsches Schiffahrtsmuseum, [1971])

Lesen Sie dazu auch folgenden Artikel bei RP-online:

Walfangboot RAU IX aus Neuss wird in Bremerhaven digitalisiert

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