Neuerscheinung: Arbeitswelten und Migration auf Werften

13.10.2020

„Arbeitskulturen im Wandel. Werften, Migration, Globalisierung“. Unter diesem Titel ist jetzt Dr. Katharina Bothes Dissertation im Campus-Verlag erschienen. Die Arbeit entstand zwischen 2015 und 2019 am Deutschen Schifffahrtsmuseum/Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) und an der Universität Bremen.
 
Schiffe sind besondere Produkte, denn gerade auf Werften eifern alle arbeitenden Personen gemeinsam der Fertigstellung entgegen. Dabei liegt die Besonderheit auch darin, dass Schiffe über ihren ganzen Lebenszyklus verfolgbar werden. Manchmal werden sie sogar so berühmt, dass sie in der ZDF-Fernsehserie „Das Traumschiff“ zu sehen sind. Dann wird voller Stolz erzählt: „Da habe ich dran mitgebaut!“.

Solche Erfahrungen teilten Werftarbeiter mit Katharina Bothe, als sie diese zu ihrer Arbeit befragte. Die Wissenschaftlerin nahm den Schiffbau auf norddeutschen Werften in besonderem Sinne unter die Lupe, denn sie fokussierte sich nicht nur auf diese maritimen und berufsbezogenen Inhalte, die bei den Arbeitern eine hohe Identifikation mit ihrer Werft hervorrufen. Sie konzentrierte sich vor allem auch auf die Position von Migranten in den global agierenden Schiffbauindustrien. Sie fragte dabei nach den Funktionsweisen von Teilhabe und Ausgrenzung an den Arbeitsstätten, insbesondere in Folge von Globalisierungsprozessen.

Ins Zentrum der Dissertation rücken hierbei Arbeitsmigranten, die ab den 1960er-Jahren als sogenannte Gastarbeiter aus Süd- und Osteuropa auf deutsche Werften gekommen waren. Bothe untersuchte, wie sich die Arbeitsbedingungen auf den Werften seither verändert haben. Grundlage dafür gaben ihr Erhebungen auf den Werften Blohm + Voss in Hamburg und den ehemaligen Howaldtswerken Deutsche Werft (HDW) in Kiel. Orientiert an Methoden der Oral History, also der gezielten Befragung von Zeitzeugen, führte Bothe Interviews mit ehemaligen und aktiven Werftarbeitern mit und ohne Migrationserfahrungen durch. Zugang zu diesen bekam sie über verschiedene Kanäle, sei es über Social Media, (inter-)kulturelle Verbände oder Gewerkschaftsvertreter der Werften.

„Das besondere an Oral History ist, dass Berufs- und Alltagswelten der Menschen hierdurch sehr viel greifbarer werden“, sagt Bothe. Aus dem Grund werden die Ergebnisse von Bothes Dissertation auch in die neue Dauerausstellung des DSM einfließen. Hörstationen und ausgewählte Erinnerungsstücke der Werftarbeiter wie Arbeitsausweise, alte Reisepässe und Werftanzüge, sollen über Arbeitsmigration im Schiffbau Aufschluss geben. Ihre Arbeit entwickelte sich aus dem Forschungszweig „Schiffbau im sozioökonomischen Kontext“ mit Aufbau der damals neu konzipierten Forschungsagenda am DSM. Bothe, die seit diesem Jahr am Museum als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet, hatte schon früh eine Affinität zum Internationalen. Neben dem Aufbau internationaler Programme und der Arbeit für die Vereinten Nationen im Ausland, ist sie auch Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdiensts. Diese Präferenz spiegelt sich auch in den Interessenschwerpunkten ihrer Forschung wider. „Der interkulturelle Aspekt ist im Maritimen generell sehr wichtig. Es sind tatsächlich die Werften gewesen, die im norddeutschen Raum neben der Automobilindustrie und dem Bergbau die meisten Gastarbeiter angeworben haben“, sagt Bothe.

Wie gehen Werften mit Diversität um – und wie hat sich dieser Umgang im Laufe der Jahrzehnte verändert? Dieser Frage geht Bothe in ihrer Dissertation nach. Sie zeigt auf, dass laut der Zeitzeugen Arbeiter mit Migrationserfahrungen im Vergleich zu ihren nicht-migrantischen Kollegen im Untersuchungszeitraum viel schneller sozial und strukturell benachteiligt wurden. Sie arbeiteten häufiger in Kurzarbeit und in Arbeitsbereichen unterhalb ihrer beruflichen Qualifikationen. Das zeigte sich besonders zur Zeit der Werftenkrise und bei den Umstrukturierungen aufgrund der fortschreitenden Globalisierung. Ausländische Arbeitnehmer waren dann besonders häufig von Entlassungen und prekären Arbeitsbedingungen betroffen. Zugleich schilderten viele der Befragten, wie sie mit dieser Situation konstruktiv umgingen, sich in der internationalen Belegschaft gegenseitig Mut und Anerkennung zusprachen und dadurch Strategien für den Umgang mit der Krise entwickelten.

In ihrer interdisziplinär angelegten Arbeit berücksichtigt die studierte Kulturwissenschaftlerin auch ökonomische Faktoren, setzt ihren Fokus letztendlich aber auf kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien. Im Sinne der kulturwissenschaftlichen Arbeits- und Organisationsforschung erkennt sie in den Werften soziale und kulturelle Räume mit kollektiven Werten und Praktiken. Dabei finden jeweils werftspezifische Aushandlungsprozesse statt. Das betrifft beispielsweise den Umgang mit Diversität bei betrieblichen Umstrukturierungen. Die hier getroffenen Maßnahmen des Managements, die auf der einen Seite auf soziale Ungleichheit hindeuten, haben die Menschen in ihren Erinnerungen rückblickend als notwendig gerechtfertigt. Aus diesem Grund ist das Buch gerade auch für Gewerkschaften von Interesse, da der Fokus der Arbeit auf den arbeitenden Menschen liegt und die Belange von Arbeitnehmern durchdacht werden.

Über den Stolz zum Schiffsbauhandwerk erfolgte eine hohe Identifikation mit den Werften, da diese Mitwirkung zu sozialer Anerkennung führte. Dadurch, dass die subjektive Arbeit am Schiff als Endprodukt nachvollziehbar ist, entsteht eine enge Bindung zum Schiff. Diese Empfindungen beeinflussen gerade im Rückblick eine positive Wahrnehmung der eigenen Arbeit. Eine spannende Beobachtung an Bothes Forschung ist, dass die Arbeiter ihre Werften eher positiv in Erinnerung haben, auch wenn sie Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.

Kontakt Presse

Thomas Joppig

0471 482 07 832

presse@dsm.museum

Katharina Bothe

Foto: DSM

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Buchtitel „Arbeitskulturen im Wandel. Werften, Migration, Globalisierung“

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Italienischer Gastarbeiter.

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