Archivalie des Monats: Seekarte Paskaart vande Iade, Weser en Elve

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In der Reihe "Archivalie des Monats" stellt das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte monatlich einen besonderen Schatz aus dem Archiv vor. Im Mai schaut der Historiker und Experte für Navigationstechnik und Seekarten, Dr. Frederic Theis, auf Johannes van Keulens Seekarte „Paskaart vande Iade, Weser en Elve“, die aus dem 17. Jahrhundert stammt.

In der Sammlung des Deutschen Schifffahrtsmuseums zeugt eine Vielzahl frühneuzeitlicher See- und Meereskarten von Wissenstransferprozessen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, die sich auf die Meere und ihre Küsten beziehen: von praktischer Orientierung, der Seefahrt also mit Karten, und nicht zuletzt davon, wie Schifffahrt als Medium der Globalvernetzung unsere heutige Welt prägte.

Dieses Seekartenblatt niederländischen Ursprungs um 1690 zeigt die innere Deutsche Bucht mit Helgoland, den Flussmündungen von Elbe, Weser und Jade, die diesen vorgelagerten Wattenmeergebiete vor der Nordsee sowie das unmittelbar angrenzende Festland. Abweichend von aktueller kartografischer Konvention ist das Blatt nach Süden ausgerichtet. So kommen die Jade und Weser, letztere in ihrem Unterlauf ab Bremen, im rechten oberen Kartenabschnitt zu liegen, während in der linken Blatthälfte die Elbe ab Hamburg erscheint. Aus Platzgründen – man hätte sonst den Kartenspiegel mit unverhältnismäßigem Aufwand nach links ergänzen müssen – ist der Teilverlauf des Elbstroms zwischen Hamburg und dem Ort „Haseldorp“ (Haseldorf im heutigen Schleswig-Holstein) aus der Haupt- in eine von Blattgrün eingefasste Nebenkarte ausgelagert worden.

Zahlreiche Detailinformationen weisen das Blatt als Navigationskarte aus. So wird strukturell zwischen den Fahrwassern der Flüsse und Mündungsgebiete einerseits und den sie umgebenden Untiefengebieten des Wattenmeeres andererseits unterschieden. Sandbänke wie „Rode Sandt“ und „Hooge Wech“ (Roter Sand und Hohe Weg) in der Außenweser oder „Vogel Sand“ in der Außenelbe konturiert die Karte in deutlicher Graupunktierung. Das Fahrwasser der Außenweser, in geringerem Umfang auch das der Elbe, ist überdies mit zahlreichen kegelförmigen Seezeichen – schwimmenden Tonnen – belegt, deren äußerste als Beehr-Tonne (Birntonne) ein X kennzeichnet. Diese Birntonne, welche die westlichen Ausläufer der Rote-Sand-Untiefe ausweist, scheint zudem den Fahrwasserbeginn zu markieren, sie wäre mithin Ansteuerungstonne für diejenigen Schiffer gewesen, die von der Nordsee zur Weser und nach Bremen navigierten. Als eigentliches Ansteuerungsseezeichen lag indes im Grenzgebiet zwischen Nordsee und Außenweser bereits seit 1664 die Bremer „Schlüsseltonne“ aus, die in der vorliegenden Karte nicht berücksichtigt wird. Während einerseits nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Information die in Amsterdam ansässigen Kartografen nicht oder nicht rechtzeitig vor Drucklegung der Kartenerstausgabe erreicht hat, ist andererseits wahrscheinlicher, dass hier eine bewusste Entscheidung vorliegt. So könnten die zur Weser gehenden niederländischen Schiffer weiterhin die ältere Birntonne als navigatorischen Fixpunkt bevorzugt haben, auf deren bekannte und zuverlässige Positionierung sie vertrauen konnten.

Ein komplexes Liniensystem überzieht das Kartenblatt. Neben den Breiten- und Längengradlinien erscheinen zeittypische Rumbenlinien, deren Strahlen sich sternförmig von Windrosen über den Kartenspiegel ausbreiten. Während die Gradnetzlinien den Navigatoren beim Kartengebrauch die Referenzierung des Seegebiets sowie der Schiffsposition im Erdgradnetz ermöglichten, unterstützen die Rumbenlinien die praktische Wegfindung mit Segelschiffen: Mithilfe dieser Linien ließ sich das Lageverhältnisse relevanter Orte wie beispielsweise Hafenstädten oder Ansteuerungstonnen zueinander einschätzen und eine Seereise oder ein Reiseabschnitt im Hinblick auf die vorherrschenden Winde, Strömungen und Gezeiten vorausplanen.

Als Verleger nennt die Vignette unten links den in Amsterdam ansässigen Kartografen Johannes van Keulen (1654–1715), dessen Produktionsunternehmen „Inde gekroonde Lootsman“ 1680 ein auf fünfzehn Jahre geltendes staatliches Privileg und ausschließliches Verwertungsrecht an seinen Seekarten, Atlanten und gedruckten Segelanweisungen erhalten hatte. Voraussetzung für die Kartenproduktion und deren Richtighaltung waren ebenso verlässliche wie möglichst aktuelle Informationen über die Verhältnisse im Seegebiet. Diese mochten einesteils von Nautikern der eigentlichen Handels- und militärischen Schifffahrt stammen, andernteils – und darauf rekurriert der Verlagsname – von Lotsen, denen die dargestellten Küstenverläufe ebenfalls aus eigener Anschauung bekannt waren. Diese wandten ihr spezifisches Wissen also nicht allein praktisch an, nämlich als Berater der Schiffsführer, sondern auch als Zuträger von Kartenverlagen.

Die „Paskaart vande Iade, Weser en Elve“ ist eine Momentaufnahme des seinerzeitigen Kenntnisstandes sowie Zeugnis von Wissenserzeugungs- und -transferprozessen zum unmittelbaren Nutzen der Schifffahrt. Sie steht zudem exemplarisch für das tausendfältige kartografische Archivmaterial des Deutschen Schifffahrtsmuseums und dessen schifffahrts- wie globalgeschichtliche Relevanz.

 

(Frederic Theis, 17.04.2024)

 

Abbildungsunterschriften

Abbildung 1: Paskaart vande Iade, Weser en Elve, Gesamtansicht.

Abbildung 2: Der Kartenausschnitt zeigt die Unterweser ab Bremen sowie die Außenweser mit dem Fahrwasser, den schwimmenden Seezeichen und den Untiefen.

Abbildung 3: In der Kartenvignette erscheinen neben Urhebernamen Johannes van Keulen aus Amsterdam auch Maßstabsleisten in deutschen, spanischen sowie englischen und französischen Meilen.

 

Erste Seite eines Seefahrtbuches.

Abbildung 1: Paskaart vande Iade, Weser en Elve, Gesamtansicht. Credit: DSM

Seefahrtsbuch

Der Kartenausschnitt zeigt die Unterweser ab Bremen sowie die Außenweser mit dem Fahrwasser, den schwimmenden Seezeichen und den Untiefen.
Foto: DSM

Seekarte

In der Kartenvignette erscheinen neben Urhebernamen Johannes van Keulen aus Amsterdam auch Maßstabsleisten in deutschen, spanischen sowie englischen und französischen Meilen.
Foto: DSM

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